Trockenwurst – Liebe auf den ersten Biss
Die Schweiz ist bekannt für ihre Extrawürste. Über 400 Sorten hat sie notabene zu bieten. Darunter ein Arsenal nationaler und regionaler Trockenwürste – allesamt knorrige Kerle, deren innere Werte schon unsere Vorfahren zu würdigen wussten. Keine Wurst lässt sich denn auch so vielseitig geniessen wie Landjäger, Salsiz & Co. Grund genug, den helvetischen Lustspendern bis zum äussersten Zipfel nachzuspüren. (Foto: marcin jucha - stock.adobe.com)
Charme und Charakter
Liebe auf den ersten Blick ist es selten. Dafür folgt sie prompt auf den ersten Biss. Berauschende Düfte und Aromen entströmen den urchigen Gesellen, dass es eine wahre Freude ist! Kein Wunder, gehören Landjäger, Gumpesel, Pantli & Co. zu unseren beliebtesten Snacks. Kein Zvieri-Plättli ohne aufgeschnittene Trockenwurst, kein Picknick ohne den Genuss, in eine reinzubeissen.
Wie viel Charme und Charakter in Trockenwürsten steckt, zeigt ein kulinarischer Streifzug durch die Schweiz. Jede Region wartet mit eigenen Spezialitäten auf. Von Genf bis Graubünden, vom Tessin bis Basel tragen zudem Geheimrezepte lokaler Metzgermeister zum schlaraffischen Angebot bei. Die Schweizer Wurstlandschaft spiegelt mit mehr als 400 Wurstsorten eine kulinarische Kultur, die über Jahrhunderte gewachsen ist. Und eine heisse Liebe, die wir mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 6 Kilo jährlich pflegen. Dies alles hat uns sogar eine Würdigung im «Guiness-Buch der Rekorde» eingebracht!
Regionales vermählen
Das populärste kulinarische Traumpaar heisst Wurst und Brot. Geschickt kombiniert, begeistert das simple Mahl selbst Gourmets. Am besten mundet die Mariage mit Regionalem. Eine Salami etwa schmeckt gleich doppelt so gut mit Ciabatta. Desgleichen die Urner Hauswurst mit Urner Hälberli-Ruchbrot. Zu Salsiz und Härdöpfalwurscht geniesst man Engadiner Roggenfladenbrot, und zum Gumpesel darfs auch gerne ein Stück Berner Züpfe sein.
Für den Znacht oder Apéro riche sind Scheibchen verschiedener Trockenwurstsorten, assortiert mit Hart- und Weichkäse aus der Gegend, Cornichons, gartenfrischen Radiesli, Tomatenschnitzen, Eivierteln, Sulz und Zwiebelringen beliebt. Dazu wird dunkles und helles Brot aufgetischt sowie als besondere Delikatesse dünn aufgeschnittene Früchte- oder Bündner Birnbrotscheiben. Zum Trinken gibts Bier, Most oder Tischwein.
Heisse Liebe
Was so begehrt ist wie die Wurst, beflügelt natürlich die Fantasie der Köchinnen und Köche. Der wohl berühmteste Schweizer Klassiker mit Trockenwurst heisst Capuns. Die Mangoldwickel bergen eine Farce, die mit fein geschnittenem Salsiz aromatisiert wird. Auch die Kartoffelribel Maluns sowie Plain in Pigna, ein Gratin aus rohen Kartoffeln und grober Polenta, wird gerne mit Salsiz gewürzt. Die Tessiner wiederum schnipseln als besondere Pikanterie Salami in den Sugo. Und die Walliser ehren ihre Hauswurst mit der Spezialität Gsottus, einem Schmorgericht aus Reis, Kartoffeln und Kohl.
Tipp: Fast alle Trockenwürste eignen sich, fein geschnitten, als Alternative zu Rohess-Speckwürfeli. Zum Beispiel für Getreide- und Pastasalate. Oder für Eichblattsalat, ausgarniert mit Apfelchips. Auch Suppen erhalten durch Trockenwurststreifchen Pfiff.
Vom Armenfleisch zur Delikatesse
Der Bund währt rund zwei Jahre, als die Ur-Eidgenossen anno 1293 den ersten Buureschüblig verzehren. Damit dürfte die fein geräucherte Trockenwurst die älteste original Schweizer Wurstspezialität sein. Ihre internationalen Vorfahren sind jedoch viel, viel älter.
Laut Historikern wird Frischfleisch verwurstet, seit Menschen jagen, um den Hunger zu stillen. Einerseits diente die Verarbeitung der Konservierung, andererseits dem haushälterischen Verbrauch: In die Wurst bzw. deren Hülle wurde nämlich fast alles gesteckt, was das Tier hergab. Deshalb standen Würste noch bis vor wenigen Jahrzehnten im Ruf, minderwertiges Fleisch für Minderbemittelte zu sein.
Heute gelten Würste als Visitenkarte der Metzgermeister. Gearbeitet wird mit sauberem Rohmaterial von artgerecht gehaltenen Tieren. Viele Spezialitäten gibt es in Bio-Qualität oder gar mit dem AOP-IGP-Gütesiegel ausgezeichnet. Nur gutes Fleisch ergibt eine gute Wurst, lautet die Maxime. Oder wie Fritz von Gunten im Buch «Alles ist Wurst» den Spitzenkoch Stefan Wiesner vom Gasthaus Rössli in Escholzmatt LU zitiert: «Wurstmachen ist Ehrlichkeit.»
Wurstwissen
Fachkundige unterteilen die Würste in drei Kategorien gemäss deren Verarbeitung: Roh-, Brüh- und Kochwürste. Die Trockenwurst gehört zu den Rohwürsten. Sie besteht aus zerkleinertem Fleisch, Speck und allerlei Gewürzen, die ihren Gout ausmachen. Aromenspender können beispielsweise Koriander, Zimt, Pfeffer oder Muskat sein. Aber auch Kohl, Knoblauch, Randen und Fenchel verleihen den Würsten geschmackliche Extravaganz.
Ein weiteres Geheimnis ihrer Güte ist die Trocknung bzw. Räucherung über längere Zeit. Salsiz und Salami etwa werden an der Luft getrocknet. Landjäger und Schüblig hingegen erhalten ihren unverwechselbaren Duft und Geschmack durch Räuchern. Im Freilichtmuseum Ballenberg hängen die «Hausgemachten» als Spezialität zum Erschnuppern parat: allen voran der mit einer Goldmedaille prämierte Gumpesel. Zudem gibt es geräucherte Schafs- und Knoblauchwurst sowie die Original Ballenberg Wurst zu entdecken.
Tour de Suisse
Die Schweizer Wurstlandschaft ist geprägt von Kultur, Esstradition, Landwirtschaft, Klima und Trends. Bereichert wird die jeweilige Vielfalt durch den Ehrgeiz und die Kreativität lokaler Wurster. Die meisten Spezialitäten sind nur vor Ort oder übers Internet erhältlich. Fast alle Klassiker gibt es hingegen auch beim Grossverteiler. Die Geschichte der bekanntesten Schweizer Wurstexemplare ist im Inventar Kulinarisches Erbe der Schweiz dokumentiert. Hier eine Auswahl schweizweit populärer Trockenwürste:
Buureschüblig
Deutschschweiz. Schonend geräuchert. Rind, Schwein, Speck, Gewürze. Für kalte Platten. Heiss zu Sauerkraut oder Bohnen.
Landjäger
Ganze Schweiz. Nach Cervelat die meistgegessene Wurst hierzulande. Kuh (auch Pferd und neu Wasserbüffel), Speck, Rotwein, Gewürze, Nitritpökelsalz. Picknick-Evergreen zu Brot.
Salami
Tessin. Luftgetrocknet. Fein oder grobkörnig. Schwein, teilweise Rind (neu auch Wasserbüffel), Gewürze, Knoblauch, Rot- oder Weisswein. Zu Brot. Heiss im Sugo oder auf Pizza.
Salsiz
Graubünden. Luftgetrocknet. Schwein, Rind, Speck (oder Lamm, Wild, Gams, Kartoffeln, Kräuter, Nüsse, Heu), Gewürze, Rotwein. Zu Engadiner Roggenfladen oder im Salat. Heiss in Capuns, Plain in Pigna.
Lokale Spezialitäten
Pantli
Appenzellerland. Geräuchert und luftgetrocknet. Rind, Schwein, Speck, Gewürze. Zu Appenzeller Käse, dunklem Brot und saurem Most.
Gumpesel
Meiringen BE. Lange Räucherzeit. Intensiver Geschmack, hartes, trockenes Fleisch. Rind, Schwein, Speck, Gewürze, Rotwein. Bis zu 14 Tage ohne Kühlung haltbar. Zu Züpfe und Brot.
Kartoffelwurst
Surselva und Engadin GR. Rind, Schwein, Speck, Blut und Gewürze. Zum Apéro. Heiss zu Polenta, Maluns oder in Suppe. Zum Zmorge, Zvieri und Znacht zu Brot.
Urner Hauswurst
Uri. Luftgetrocknet. Kuh- und Schweinefleisch sowie Ziegen- und/oder Hirschfleisch, Gewürze. Kalt zu Urner Hälberli-Ruchbrot oder heiss zu Ryys und Boor (Reis und Lauch).
Walliser Hauswurst
Wallis. Rind, Schwein, Speck, Gewürze, Knoblauch, Rot- oder Weisswein (oder mit Kohl, Lauch, Randen). Zu Walliser Roggenbrot oder im Eintopf Gsottus.
Nitritpökelsalz – alles Wurscht?
Ob Speck, Schinken, Salsiz, Landjäger, Aufschnitt, Trockenfleisch, Salami oder Brühwürste: Alle enthalten Nitritpökelsalz. Pökeln, fachsprachlich auch Umröten genannt, gilt als die älteste Konservierungsmethode von Fleisch- und Wurstwaren.
Nitrit und Nitrat sind zwei chemisch verwandte Stoffe, die immer wieder in die Schlagzeilen geraten und als krebsfördernd gelten. Sie sind neben der Charcuterie auch in Gemüse und Trinkwasser enthalten. Der Körper baut das Nitrat zu einem geringen Teil in Nitrit und dieses in möglicherweise krebserregende Nitrosamine um.
Berechnungen und Analysen der deutschen Forschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel beruhigen jedoch die Wurstgeniesser. Gegenüber der Eigenproduktion des Körpers von täglich bis zu 70 mg Nitrit aus Nitrat sind die durchschnittlichen 2,5 mg Nitrit aus Fleischprodukten zu vernachlässigen. Einzig: Gepökeltes Fleisch (z.B. Speck) gelangt vorsichtshalber besser nicht auf den Grill, da bei starker Hitze Nitrosamine entstehen.
Gesundheitstipp von Marlène Gautschi, Ernährungsberaterin
Text: Stephanie Riedi | Juli 2011