Cassata - sizilianische Herrlichkeit
Was wir in der Schweiz als italienische Glace-Spezialität kennen, ist in ihrer Heimat Sizilien in Wahrheit eine üppige, fantasievoll verzierte Torte: die Cassata. Die vielschichtigen, farbenfrohen Kunstwerke sind süsse Zeichen der Lebensfreude und der kulinarischen Vielfalt auf der Insel im Süden Italiens.
Legendäre Cassata
Um viele berühmte Gerichte ranken sich Legenden, so ist auch die «Erfindung» der Cassata eine uralte Geschichte: Vor über tausend Jahren war einst ein arabischer Bauer auf Sizilien daran, Frischkäse mit Rohrzucker zu vermischen. Man fragte ihn, was er denn da mache. Seine Antwort lautete «qas’at», damit bezeichnete er das runde Gefäss, der Fragende meinte jedoch, er benenne die Süssigkeit. Nachweisbar an dieser Legende ist lediglich, dass vor tausend Jahren auf Sizilien Frischkäse (Ricotta) gemacht wurde, dass Araber dort lebten und der Rohrzucker bekannt war.
Andere Stimmen meinen den Ursprung der legendären Süssigkeit in der römischen Zeit festlegen zu können: Die Cassata wäre nach dieser Theorie sogar 2000 Jahre alt! Die Römer süssten den Ricotta mit Honig und umhüllten die Masse mit einem Teig, das Ganze wurde sorgfältig im Ofen gebacken. Dies gab der Cassata die ursprüngliche Form, ist der Kulinariker Gaetano Basile aus Palermo überzeugt.
Im ersten sizilianisch-lateinischen Wörterbuch des Benediktiners Angelo Senisio aus dem 14. Jahrhundert taucht die Cassata zum ersten Mal in einem verlässlichen Dokument auf, «cibus ex pasta panis et caseus compositus», also ein Gericht, gemacht aus Brotteig und Käse.
Keine Cassata für die Nonnen!
Das Rezept entwickelte sich weiter, die reiche Form war in den Adelshäusern und in den Klöstern bekannt. Eine Synode verbot den Nonnen im 16. Jahrhundert sogar, die Cassata herzustellen, denn die aufwendige Produktion liess ihnen zu wenig Zeit zum Beten. Die Cassata war lange wirklich das bevorzugte Ostergebäck, was dieses sizilianische Sprichwort verdeutlicht: «Kläglich, der an Ostern keine Cassata isst.»
Ende des 18. Jahrhunderts war die Cassata nun eindeutig eine süsse Speise, denn in einem sizilianischen Wörterbuch wird sie als «specie di torta fatta di ricotta raddolcita di zucchero con rinvolto di pasta anch’essa raddolcita e fatta in forma rotonda» bezeichnet. Kurz gesagt, eine runde Torte aus Ricotta und Teig, beides mit Zucker gesüsst.
Süsse Torte - nicht nur an Ostern
Die Cassata, die zu speziellen Festen wie Ostern und Taufen das lange Mahl abschloss, soll etwas über hundert Jahre alt sein. Salvatore Gulì, Konditor in Palermo, spezialisierte sich auf die Herstellung von kandierten Früchten. Um den Umsatz zu steigern, erfand er die passende Torte: die Cassata alla siciliana. Er soll sie 1873 in Wien an der Weltausstellung dem Publikum vorgeführt haben.
Bei der Elterngeneration des Kulinarikers Gaetano Basile nannte man die Torte noch Cassata di Gulì. Diese Torte besteht aus Biskuit, getränkt mit Marsala, mit grünem Marzipan als Aussenschicht, gesüsstem Ricotta mit Vanille, Orangeat-, Zitronat- und Schokoladestückchen als Füllung. Die weisse Glasur aus Puderzucker und Zitronensaft wird mit kandierten Früchten reichlich garniert. Der Kuchen muss einige Stunden kalt gestellt werden. Inzwischen ist die Cassata auf Sizilien das ganze Jahr erhältlich.
Einfach und eisgekühlt
1963 trafen sich mehrere hunderte Köche in Venedig zu einem Kongress, an welchem sie festlegten, was eine «cassata gelata alla siciliana» ist. Die äusserste Glaceschicht besteht aus Rahm und Vanille, dann folgt eine Lage Pistacheglace, dann eine Schicht aus mit Rum getränktem Biskuit, nun folgt eine Schicht aus Parfait, welches aus steif geschlagenem Eiweiss, Zucker, Milch, Rahm, kandierten Früchten und Splittern von Bitterschokolade besteht.
Den Abschluss bilden zwei weitere Glacelagen. Inzwischen ist diese Cassata zu einer noch einfacheren Form reduziert worden: Den Kern bildet eine helle Glace mit Stücken kandierter Früchte, dann folgt je eine Schicht Erdbeer-, Schokolade- und Vanilleglace, abgerundet durch einen Mantel von Schokolade.
Regionale Cassata-Variationen
Aus den italienischen Abruzzen, genauer in Sulmona, einem für seine (Zucker-)Mandeln bekannten Städtchen, stammt eine weitere Leckerei bekannt: Zucker, Butter, Eigelb werden zusammengerührt und mit drei verschiedenen Geschmacksrichtungen vermischt: mit Mandelpraliné-, Haselnuss- und Schokoladestückchen und mit einfachem Kakao. Abgetrennt werden die süssen Schichten voneinander durch mit Likör getränkte Biskuitscheiben, es ist also auch eine Torte.
Eine weitere Cassata aus Sizilien besteht aus blindgebackenem Mürbeteig, der dann mit angereichertem Ricotta gefüllt wird. Diese beiden Gebäcke sind regionale Spezialitäten, die über ihren Ursprungsort hinaus kaum bekannt sind.
Aktualisiert: 14. September 2020
Text: Alexandra M. Rückert